Die Maske
Wir alle tragen derzeit Masken zum Schutz vor dem Coronavirus, zumindest beim Einkaufen und im öffentlichen Verkehr. Wir tragen Gesichtsmasken. Besser gesagt, einen Mund- und Nasenschutz, auch Spuckschutz genannt.
Masken gibt es schon sehr lange. Das Wort stammt aus dem Arabischen und heißt übersetzt: Narr, Posse, Hänselei, Scherz. Masken wurden schon vor Jahrtausenden für religiöse Rituale genutzt. Sie haben auch im Theater, in der Kunst, an Fasching, in geheimen Verbindungen und als Schutzmasken eine lange Tradition.
Viele Kinder lieben es, andere Rollen auszuprobieren und sich zu verkleiden. Hast du dich als Kind gelegentlich verkleidet um jemand anderes zu sein?
Wie fühlst du dich heute mit einer Maske vor dem Gesicht?
Nach dem ersten Einkauf mit Mundschutz sagte jemand zu mir: „Die Maske schafft Distanz und ich habe das Gefühl ich brauche nicht zu reden“. Diese Aussage hat mich überrascht und ich denke jede Person nimmt es anders wahr. Ich lade dich ein, es einfach einmal bewusst wahrzunehmen, wie es sich für dich anfühlt, wenn du den Mundschutz trägst. Hast du das Gefühl, nicht atmen zu können? Fühlst du dich eingeengt in deiner Ausdrucksmöglichkeit? Empfindest du es eher als angenehm? Als Schutz? …
Dieses Stück Stoff vor dem Gesicht, das einen großen Teil des Gesichtes bedeckt, macht etwas mit mir – und mit dir. Es wirkt sich auf uns persönlich und auf unsere Begegnungen miteinander aus. Wir nehmen einander anders wahr.
Augenblicke
Ich habe während meiner ärztlichen Tätigkeit schon oft einen Mundschutz, komplette Operationskleidung und dazu noch schwere Bleimäntel getragen. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht: egal wie sehr ich oder meine Kollegen eingepackt sind – wir erkennen einander. Auch ohne Worte. Nach meinen persönlichen Erfahrungen war diese Atmosphäre mit Maske vor Mund und Nase immer etwas Besonderes. Es hat eine ganz besondere Art von Verbindung geschaffen.
Auch jetzt erkenne ich Freunde und Bekannte unterwegs wieder, trotz Mundschutz. Ich schaue den Menschen, die mir begegnen, in die Augen. Schon immer. Die Augen sind mir persönlich das Wichtigste. An den Augen erkenne ich die Menschen. An den Augen sehen ich, ob ein Lächeln echt ist. An den Augen sehe ich, wie es jemandem geht. Ich kann Schmerz in den Augen meines Gegenübers sehen und ungeweinte Tränen. Und Freude und Lachen oder Wut und Zorn. Du erkennst, ob dich jemand liebevoll anschaut oder ablehnend. Die Augen erzählen viel. Man sagt auch: die Augen sind das Fenster zur Seele. Ein Augenblick kann viel verändern. Kennst du das Gefühl, dass in manchen Augenblicken die Zeit still steht?
Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Augenkontakt mit meiner neugeborenen Tochter erinnern. Ein Neugeborenes kann noch nicht scharf sehen, aber es nimmt schon kurz nach der Geburt Augenkontakt mit seiner Mutter auf. Und wir beide schauten uns an und ich habe in dem Blick dieses neugeborenen Menschen unendlich viel Weisheit gesehen und einen Blick auf das ganze Universum erhaschen dürfen. Ich glaube, wer so einen Blick einmal gesehen hat, wird ihn nie wieder vergessen.
Die Performance-Künstlerin Marina Abramovic hat 2010 in New York eine Performance im Museum of Modern Art mit dem Titel The Artist is Present gemacht. Sie saß drei Monate lang Tag für Tag auf einem Stuhl. Sie hat den Besuchern, die sich ihr gegenüber setzten, in die Augen geblickt. Nur sitzen und in die Augen schauen. Nicht sprechen, keine Gesten. So hat sie jeden Tag gesessen. Ohne Essen. Ohne Trinken. Stundenlang. Nur präsent sein und dem Gegenüber in die Augen schauen. Ich habe Filmausschnitte davon angeschaut und selten so etwas Berührendes gesehen. Viele Menschen fingen an zu weinen, manche berichteten danach von einer Erfahrung, die ihr Leben verändert hat.
Ein frisch verliebtes Paar schaut sich oft intensiv in die Augen. Diese Blicke gehen bis tief ins Herz. Und in den Augen des anderen Menschen erkennen wir letztendlich uns selbst.
Worauf schaust du, wenn du jemandem begegnest? Worauf schaust du zuerst? Worauf als nächstes? Hast du eine bestimmte Reihenfolge in der du dein Gegenüber anschaust? Kannst du dir selbst im Spiegel längere Zeit tief in die Augen schauen?
Hinter der Maske
„Wir tragen viele Masken und haben kein Gesicht….“ So beginnt ein Lied von Gisela Spitzer und Klaus Pauthel. Vielleicht möchtest du dich in einer ruhigen Minute fragen: wie oft trägst du, auch ohne Mundschutz, eine Maske? Wie oft lächelst du, auch wenn dir eigentlich zum Weinen ist? Wie oft verstellst du dich und zeigst nicht, wie es dir in Wirklichkeit geht? Wer bist du wirklich hinter all deinen Masken? Wie sieht dein wahres Gesicht aus? Wann kannst du die Masken fallen lassen und was brauchst du dazu?
Ich denke es ist nicht in jeder Situation ratsam, sein wahres Gesicht zu zeigen. Aber vielleicht darf es uns bewusst sein, wann wir eine Maske tragen und wann nicht. Und vielleicht können wir ein Gefühl dafür entwickeln, wer wir hinter der Maske wirklich sind. Vielleicht geben uns die gesetzlich verordneten Masken auch den Mut, öfter mal unser wahres Gesicht zu zeigen – im Schutze des Stoffes vor unserem Gesicht. Vielleicht nutzen wir auch die Gelegenheit, uns gegenseitig mal wieder so richtig in die Augen zu schauen und uns wirklich als Menschen zu begegnen. Unvoreingenommen. Und vielleicht bekommen wir die Gelegenheit, uns in den Augen unseres Gegenübers selbst zu erkennen.
Ich bin sehr gespannt wie es dir mit diesem Thema geht und freue mich schon auf deinen Kommentar.
Ich schenke dir ein Lächeln hinter der Maske
Bianka
Beitragsfoto: Christo Anestev auf Pixabay